„Ich habe gelernt, auch mal durchzuatmen“

Meine Klientin Lena* ist 32 Jahre alt. Sie kam mit folgenden Themen zu mir: Wunsch nach Partnerschaft, Work-Life-Balance und Winterblues. Im Interview erzählt sie, wie sie in der Therapie gelernt hat, sich von ihrem übermäßigen Verantwortungsgefühl zu verabschieden und authentischer zu kommunizieren. Und wie sich ihr Beziehungsstatus verändert hat.

Lena arbeitet als Sonderpädagogin / Lehrerin für Kinder mit Beeinträchtigungen. Das Interview haben wir nach rund 20 Sitzungen geführt.

* Meine Klientin möchte gerne anonym bleiben, daher habe ich ihren Namen geändert.

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Judith: Was hat dich dazu bewegt, eine Therapie anzufangen?

Lena: Letztes Jahr im Winter ging es mir nicht so gut, ich habe immer so einen Winterblues. Außerdem war ich schon seit vielen Jahren Single und da gab es wieder einen Mann, bei dem es nicht so lief, wie ich es mir gewünscht hätte. Und bei der Arbeit habe ich mich gefragt, ob ich vielleicht kurz vor einem Burn-out stehe. Ganz konkret wollte ich meinen Beziehungsstatus ändern, ich wollte erfahren, wie ich mit dem Winterblues umgehen kann und wie ich eine gute Work-Life-Balance halten kann.

Was hast du in den Sitzungen gelernt?

Ich habe neue Wege gefunden mich selbst zu reflektieren und angefangen, Dinge aus einer ganz anderen Perspektive zu sehen. Ich habe gelernt, dass ich nicht für das Verhalten und die Gefühle anderer Menschen verantwortlich bin. Ich kann zwar in anderen etwas triggern, aber ich bin nicht die Person, die das Verhalten trägt. Ich darf mich ruhig auch mal von den Gefühlen anderer Menschen abkapseln.

Und ich habe viel über Kommunikation gelernt. Dass ich die Dinge einfach ansprechen kann, so wie sie sind. Dabei möchte ich natürlich ein gewisses Maß halten und erstmal nachdenken, bevor ich etwas rausposaune. Aber ich kann sagen, was mir auf der Seele brennt. Und es lohnt sich durchaus, da mal über meinen Schatten zu springen und über die Hürde, die ich mir aufgebaut habe.

Hat sich etwas an deinem Umgang mit Männern geändert?

Auf jeden Fall. Ich war offener dafür. Ich kann es gar nicht richtig beschreiben, irgendwie bin ich in eine ganz andere Kommunikation eingestiegen. Ich habe von mir selbst gesprochen, ohne mich zu verstecken oder zurückzuhalten – weil etwas dem anderen vielleicht nicht gefallen könnte. Als ich einen Mann näher kennengelernt habe, habe ich zum Beispiel ganz am Anfang davon erzählt, dass ich Psychotherapie mache. Da hatte ich erst den Gedanken: „Das kann man nicht sagen.“

Aber in den Sitzungen hatten wir ja darüber gesprochen, dass es wichtig ist, sich so zu zeigen, wie man ist. Daher habe ich das mit der Psychotherapie einfach gesagt und die Reaktion war sehr schön. Er fand es mutig, dass ich es gesagt habe. Diese Ehrlichkeit gelingt mir natürlich nicht immer, aber es gibt Momente, in denen ich merke: Jetzt traue ich mich wieder etwas.

Was hat sich auf der Arbeit für dich verändert?

Da habe ich gelernt, mich auch mal zurückzulehnen und durchzuatmen. Früher wollte ich schwierige Situationen immer direkt klären oder mich rechtfertigen. Die Therapie hat mir geholfen, meine Muster zu verstehen. Ich dachte: „Ich bin total reflektiert und bemüht Situationen zu klären.“ Was ich in den Sitzungen erkannt habe, ist, dass ich durch das schnelle Klären unbewusst dafür sorgen wollte, dass mich alle mögen. An dem Thema arbeite ich auch weiterhin sehr viel: dass ich bei Konflikten erst mal durchatme und sie sacken lasse und dann mit etwas Abstand den Konflikt angehe.

Insgesamt habe ich durch die Therapie einige neue Perspektiven bekommen. Das beste Beispiel ist für mich immer noch das mit dem Größenwahn und der Verantwortung. Das hat sich so eingeprägt. Das ist etwas, worauf ich immer wieder zurückgreife.

Magst du mal genauer erklären, was du mit “Größenwahn” meinst?

Ja, damit ist gemeint: „Wer bin ich denn, dass ich denke, mit meinem Verhalten so eine Macht über das Verhalten und das Sein und die Gefühle anderer Menschen zu haben?“ Das ist ja auch eine Art „Größenwahn“. Diese Macht habe ich gar nicht und somit auch nicht diese Verantwortung. Ich bin im Grunde für niemand anderen verantwortlich als für mich selbst. Ich habe auch gelernt, dass mein übermächtiges Verantwortungsgefühl ganz viel mit dem Bedürfnis zusammenhängt, bestimmte Erwartungen erfüllen zu wollen. Und dass ein Miteinander auch möglich ist, ohne dass man verantwortlich füreinander ist.

Was hat sich sonst noch durch die Therapie für dich geändert?

Meine Einstellung zu Psychotherapie. Ich habe immer gedacht: „Man muss schon sehr kaputt und verkorkst sein, um das zu brauchen.“ Und das ist einfach nicht so. Klar, du kannst kaputt und verkorkst sein, aber du kannst genauso gut auch nur ein paar Risse haben, das reicht aus.

Hast du in der Therapie das erreicht, was du dir gewünscht hast?

Ja. Ich fange mal mit meinem Beziehungsstatus an: Ich habe jetzt einen Freund. Und ich würde sagen, dass es eine sehr schöne und erfüllende Beziehung ist. Mir geht es gut in dieser Beziehung. Und auch wenn da mal schwierige Momente sind, kann ich immer auf mich zurückgreifen. Noch mal hinterfragen: „Warum ist das gerade so?“. Und in dieser Partnerschaft kann kommuniziert werden, das finde ich so wertvoll.

Was die Work-Life-Balance angeht: Ich glaube, dass sich das ein bisschen ausgeglichen hat, weil meine Beziehung gerade so schön ist – die Arbeit nimmt dadurch automatisch nicht mehr so einen riesigen Teil ein. Und was die Arbeit angeht, habe ich auf jeden Fall für mich gelernt, dass ich nicht alles „reparieren“ muss, damit andere mich mögen. Sondern, dass ich mir auch mal die Zeit nehmen kann, etwas zu reflektieren und dann Rückmeldung zu geben. Ich glaube mein Umgang mit Krisensituationen allgemein hat sich verändert.

Über den Winterblues kann ich noch nichts sagen, der Winter kommt ja jetzt erst wieder.

Insgesamt hat sich auf jeden Fall Vieles zum Guten verbessert und ich freue mich immer wieder, zu den Sitzungen zu kommen. Auch wenn es nicht immer einfach ist. Aber es ist immer effektiv gewesen, es gab immer etwas, das ich mit nach Hause nehmen konnte.

Gibt es etwas, dass du Menschen sagen möchtest, die überlegen, eine Psychotherapie zu machen? Worauf sollten sie achten?

Freund:innen können oft erspüren, was passen könnte und daher vielleicht Therapeut:innen empfehlen. Und: „Dran bleiben“. In den ersten beiden Stunden dachte ich noch: „So viel habe ich gar nicht mitgenommen.“ Ich bin mit sehr großen Erwartungen da reingekommen und am Anfang habe ich nur erzählt. Zuhause habe ich dann reflektiert und gedacht: „Ich habe ja nur geredet, aber bekommen habe ich gar nichts. Ich verliere mich in meinen Erzählungen.“ Du hast mir dann gesagt: „Ich lasse dich ganz bewusst erzählen und es ist meine Aufgabe, da Ordnung reinzubringen und das Ganze zu strukturieren.“

Ich glaube, das sollte man wissen. Ich habe mich am Anfang oft gefragt: „Habe ich wirklich alles erzählt, was ich erzählen wollte? Ist es so rübergekommen, wie ich es gemeint habe?“ Und in der dritten, vierten, fünften Sitzung ist auf einmal der Stein ins Rollen gekommen.

Gut, dass du nicht aufgehört hast.

Ja. Ich fand es im Nachhinein sehr spannend zu sehen, was ich erzählt habe. Und wie wir von A auf einmal bei Y gelandet sind, oder bei M. Es war nicht „A, B, C“, sondern es waren solche Sprünge. Zum Beispiel habe ich einmal über eine Situation mit einer Freundin gesprochen, und dadurch sind wir dann überhaupt erst auf das Thema Verantwortung gekommen. Das waren Umwege, die ich nicht erwartet habe. Vielleicht wäre es alles nicht so gekommen, wenn ich nicht so viel von mir erzählt hätte und du mir nicht die Sorge genommen hättest, dass alles in einer bestimmten Struktur ablaufen muss. Ich fand das auf jeden Fall unfassbar wertvoll.

Vielen Dank für das Gespräch!

 
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